Arbeit im Hospiz Essen
Lieber Brief über die Arbeit im Hospiz
Anne Penteker arbeitet ehrenamtlich im Hospiz Essen. Vor einigen Jahren hat eine liebe Freundin von ihr die Arbeit im Hospiz mitbekommen und einen Brief über die Miederkönigin Anne Penteker geschrieben. Susi machte den Anfang – oder – Was übrig bleibt, passt in eine Plastiktüte – oder – Man kann so vieles lernen – oder – Ein Stück Weg
Zwei Extreme trafen sich, sie dynamisch, bunt und herzlich offen, er vom Krebs geschwächt, schon grau und voller Skepsis. Beide hatten Hemmschwellen, die es zu überwinden galt. Sie wollte unter keinen Umständen abhängig werden. Ihrer Entscheidung Hospizarbeit zu machen, war ein langer, z.T. schmerzhafter Prozess voraus gegangen. Seine Entscheidung in einem Hospiz zu sterben war auch ein langer z.T. schmerzhafter Prozess.
Ich habe alles nur am Rande miterlebt. Ihre tiefe innere Freude, die sie nach den Besuchen im Hospiz mit nach Hause nahm und seine vertrauensvolle Zuneigung, die er sich nicht scheute zu zeigen.
Sehr gut erinnere ich mich an den Anfang. Sie wurde nur gebeten sich um Susi zu kümmern, den Hund, von dem er sich unter keinen Umständen trennen wollte und der, als erster Hund, mit ins Hospiz einziehen durfte. Sie hat selbst einen Hund, Felicitas, von mir Flitzi genannt, und war natürlich sofort bereit mit Susi Gassi zu gehen. Sie tat aber mehr. Sie spülte den Futternapf aus, besorgte Hundefutter und brachte Susi zum Tierarzt, als der Verdacht aufkam, sie hätte Flöhe.
Als er seine Wohnung auflösen musste und was ihm wert und teuer war mit in sein Hospizzuhause nahm, da rief sie mich an und erzählte voll ungläubigem Staunen: „Alles was er mitgebracht hat passt in eine Plastiktüte.“ Er hatte den ersten Schritt des Abschiednehmens, des Loslassens getan, sehr konsequent. Was übrig blieb von seinem Leben passte in eine Plastiktüte.
Die Schwestern und Pfleger hatten es nicht leicht mit ihm, er nörgelte, wollte dies nicht und jenes nicht und manchmal mussten sie sich anbrüllen lassen. Nur wenn sie kam war er friedlich wie ein Lamm. Er hörte auf sie, war mit all ihren Vorschlägen einverstanden und nahm sogar ihre Geschenke an. Sie verstand, wenn er zornig wurde, weil er nicht mehr viel selbst entscheiden konnte, sich nicht mehr frei bewegen konnte vor Schwäche, denn sie selbst ist unabhängig und trifft ihre Entscheidungen konsequent.
Ihn auszuhalten, sich nicht aufzudrängen, aber immer wiederzukommen und jeden Tag einen Schritt mehr in sein Herz zu tun, das hatte sie sich vorgenommen und das schaffte sie auch.
Und sie schaffte noch mehr. Sie hielt aus, wovor sie sich am meisten gefürchtet hatte, vor den Aufgaben einer Krankenschwester. Ihr wurde nicht übel, als er Blut hustete, sie half den abgemagerten Körper zu betten und sie lernte mit dem Sauerstoffgerät umzugehen.
Aber sie wurde deswegen nicht seine Krankenschwester, im Gegenteil. Sie blieb die Frau, die ihn aus Freude besuchte, ihn zum Lachen brachte und über seinen trockenen Humor selbst herzlich lachen konnte. Sie gab ihm alle Freiheit, gestand ihm Zorn, Trauer, Zweifel und Hilflosigkeit zu, gab aber auch ihrer Hilflosigkeit und ihrem Unverständnis Ausdruck und sagte deutlich „NEIN“, wenn sie nein meinte. Er akzeptierte es, war sogar dankbar, dass er noch Widerstand spüren konnte. Denn sie sah in erster Linie den Menschen, der ein Leben gemeistert hatte und es war ein Leben mit vielen Verlusten gewesen.
Allein hat gelebt, alles für sich entschieden, völlig unabhängig. Nur Susi seine Hündin und Kinder liebte er über alles. Einige Kinder hatten ihn im Hospiz besucht und er war tief gerührt. Jetzt spürte er seine Schwäche und erkannte seine ständig wachsende Abhängigkeit, aber sein Geist rebellierte noch, war klar und wach und stark. Und als es an der Zeit war, gab er den Hund weg. Er hatte längst entschieden, bei wem Susi ihr neues Zuhause finden sollte. Nicht bei ihr, obwohl ihm der Gedanke kam, bei wäre Susi Hund Nr. 2 gewesen.
Und er starb wie er gelebt hatte – allein. Obwohl sie fast 3 Stunden an seinem Bett saß, ließ er sie gehen und starb eine Stunde später. Da er keine Verwandten und Freunde hatte, gestaltete sie seine Beerdigung. Sie besorgte Blumengestecke, legte selbstgemalte Bilder der Kinder aus, spielte in der Kapelle an seinem Sarg Querflöte und hatte ihm eine Abschiedsgeschichte schreiben lassen, die vorgelesen wurde. 6 Menschen, inklusive Pfarrer und ein Hund folgten dem Sarg ans äußerste Ende des Friedhofs. Dort hat er seine Ruhestätte gefunden, nahe am Zaun und dahinter liegt ein Kinderspielplatz. Das gefällt ihm, sagte sie.
Sie ging weiter ins Hospiz, es war wie eine Tankstelle für sie geworden. Zu betreuen hatte sie die schwierigen Bewohner, die nörgeln und einen fröhlichen, aber auch energisch starken Menschen brauchen.
Sie hat viel gelernt und wenn es sein muss, dann hält sie eine Stunde lang den Urinbeutel fest, damit er nicht auf der Erde liegt. Ein bisschen geruchsempfindlich ist sie noch, aber … alles nur Gewohnheit.
Sie ist auch eine Bereicherung für das Hospiz, sie spielt Querflöte, singt und lacht mit den Bewohnern, bringt Farbe und Freude in die letzten Lebenstage der sterbenden Menschen.
Und ich bin stolz auf sie!
Auch auf ihr Leben außerhalb des Hospiz. Flitzi ging und Braunie kam. Der Tod war auch da nah. Sie bekam Brustkrebs und ging auch durch diese Prüfung. Sie hat bestanden. Ja, sie steht im Leben, liebt das Leben, nimmt Lernaufgaben an und meistert sie. Ich bin gespannt, wie es ihr in Indien gehen wird. Das ist eine neue Herausforderung und ich freue mich auf ihre Erzählungen. Über vieles wird sie staunen, für alles dankbar sein, über einiges den Kopf schütteln und es noch nicht verstehen und vielleicht auch über dies und das schimpfen. Aber vor allem wird sie neue Erfahrungen machen und das ist das Geschenk des Lebens an sie.